In Anlehnung an unseren Artikel über Bauwerke (I, II) wollen wir heute ein Gedicht des großen österreichischen und gesamtdeutschen Balladen-Dichter des 20. Jahrhunderts, Gerd Honsik (10.10.1941 – 7.4.2018), veröffentlichen.
Der innere Gehalt seiner Aussagen steht unverrückbar, sein Schaffen überdauert die Zeit.
Das Dach im Zeugenstand
(Von der Entlarvung der Architekten)
„Der ‘Zweckbau’ wär’ das Ideal“,
so säuseln sie von Mal zu Mal.
„Sie würden Schönes gar nicht hassen,
nur alte Schnörkel sollt’ man lassen.“
So lügen sie mit falschen Schwüren.
Wie könnte man sie endlich fassen?
Der Dachstuhl wird sie überführen!Das treue Dach in allen Breiten
hatt’ einen Zweck zu allen Zeiten:
zu einem First sich zu verjüngen,
um Schnee und Regen zu bezwingen.
Der Berge Häupter nehmt als Zeugen,
auch wenn die Sturmerprobten schweigen.Warum das Dach nun doch soll weichen,
obzwar des Zweckbaus wahres Zeichen?
Obwohl es wohl uns überdacht
und vor den Wettern hat bewacht,
geriet es dennoch in Verdacht,
den Traum von Schönheit zu bedienen.
Das soll es mit dem Tode sühnen.Das Flachdach, völlig unzweckmäßig,
schneelastgefährdet, flutdurchlässig,
wird nun als Zweckbau präsentiert
von Architekten, ungeniert.Wie heißt der Quell, aus dem sie schöpften?
Wie nackte Rümpfe von Geköpften
drohen Gebäude – quer durchs Land –,
aus denen Giebel schon verbannt.Was auch der Fremdherr auferlegt,
aus seinem Loch quillt unentwegt,
was wir beim Abgesang erduldet,
war stets dem Häßlichen geschuldet.Das Dunkle siegt, weil Gutes schwieg.
Erkennt: Es herrscht totaler Krieg!
Mit Vorsatz und mit Vorbedacht
hat nun des Fremdherrn dunkle Macht,
die all’ die bösen Geister rief
und längst uns nach der Seele griff,
zuerst in weiser Niedertracht
den Tod dem Schönen zugedacht.Gerd Honsik


