Der Donauwalzer von Johann Strauß, die traditionelle Zugabe der Wiener Philharmoniker, übersetzt die kosmische Ordnung in die Sprache der Musik und trägt sie über Fernsehen und Hörfunk hinaus in die Welt: als Botschaft der Kunst, die den Menschen freier, froher und menschlicher macht. Wir erleben sie in jedem Werk echter Kunst, in den Versen Goethes, in einem schlichten Volkslied, in einer Madonna von Dürer, in einem gotischen Dom. Kunst ist ein Sinn-Bild. Sie ist der Versuch des Menschen, den Sinn des Seins im Bild des Kunstwerks widerzuspiegeln. Sie setzt sich auch mit dem Bösen, mit Konflikten und Leid auseinander, um sie zu bewältigen und zu überwinden. Wenn sie auch Hässliches darstellt, will sie damit nicht die Lust am Schrillen und Schrägen aufkitzeln. Wenn sie Furchtbares zeigt, ruft sie uns auf, auch im Tragischen den Sinn des Geschehens zu finden.
„Es ist Aufgabe der Dichter, das gesicherte Leben unsicher zu machen: zu fragen. Und es ist Aufgabe der Dichter, Antwort zu geben: das Ungesicherte, Chaotische zu sichern, dem Nebelhaften Form, dem Zerfließenden Gestalt zu geben, schöpferisch zu wirken.“ (Josef Weinheber: „Die seelische Kraft der Jugend“; aus Josef Weinheber – Sämtliche Werke; Verlag Otto Müller, Salzburg 1954; Bd. IV, S. 135.)

Kunst gibt Hoffnung, dass auch schmerzliche Dissonanzen sich in Harmonie lösen werden. Kunst vermittelt Werte. Kunst ist ein „Geschenk Gottes“. Das klassische Griechenland hat für diesen Begriff das Wort καλοκἀγαθία, „kalokagathia“ geprägt: das Schöne und Gute als gemeinsame Leitidee. „Die Macht des Guten“, sagt Platon, „äußert sich in der Natur des Schönen.“
Mit diesen Aussagen der antiken Philosophie verbindet sich auch das Zeugnis der modernen Naturwissenschaft, das der Schriftsteller Roman Rocek anführt:
„Die Schönheit ist der Zentralbegriff von Kunst schlechthin. Auch wenn das viele Kunstbürokraten von heute nicht wahrhaben wollen, bestimmt sie nach wie vor unser Denken und unser Tun. Vor allem, soweit es überzeitlich ist. Kein geringerer als Werner Heisenberg hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass selbst in den Formeln der Quantenphysik Kräfte wirken, die dem pythagoreischen Schönheitsbegriff einer allumfassenden Harmonie entsprechen.“ (Roman Rocek: „Portrait eines Schriftstellers“, in: „Zeitung für harmonische Musik“, Nr. 34, Dezember 2002.)
Wer von Liebe zur Kunst erfüllt ist, will sein Wesen und Wirken mit Sinn erfüllen. Er hat Maßstäbe für das Schöne, das Gute, das Wahre, die seine Entscheidungen bestimmen. Dieses Wertgefüge ist ein seelisches Immunsystem, das uns auch in schlimmen Zeiten den Glauben an eine sinnvoll und lebensgesetzlich geordnete Welt bewahren kann. Kunst, die diesem Verlangen entspricht, schließt die Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen, die sich zu verbindlichen Werten bekennt. Über alle Wandlungen wechselnder Stile hinweg war diese Auffassung der Kunst durch die Jahrhunderte hin unbestritten. Ist das auch heute noch so? Was heute von der herrschenden Kulturpolitik mit Preisen gekrönt, vom Regietheater an Ekelhaftigkeiten auf die Bühne gebracht, in Galerien an Widerlichem zur Schau gestellt wird, ist kein Geschenk Gottes, sondern die radikale Antithese zu dem, was frühere Zeiten unter Kunst verstanden haben.

Wenn wir uns gegen diesen Verschleiß gültiger Werte nicht entschieden zur Wehr setzen, verkommt die Kunst zur Anti-Kunst. Angewidert von dem tollen Tamtam, der die Bühnen beherrscht, von dem sinnlosen Blabla, das man als Dichtung verkauft, von den blutbesudelten Fetzen, die in Museen als Kunstwerke zur Schau gestellt werden, wenden sich immer mehr Menschen mit Ekel von der Gegenwartskunst überhaupt ab. Da ihnen die Kunst der Vergangenheit als reaktionär verdächtig gemacht oder durch Regietheaterchaoten nur in verzerrter Entstellung vorgeführt wird, wollen manche von Kunst überhaupt nichts mehr wissen und dämmern fortan als dumpfe Banausen dahin.
Soll gut nur mehr das sein, was Profit bringt? Soll der Mensch nicht mehr anders als in disharmonischer und zerquetschter Verzerrung dargestellt werden? Der Genius Schiller weist uns den Weg:
„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, bewahret sie! Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!“ (Friedrich von Schiller: „Die Künstler“; Gedichte in der Reihenfolge ihres Erscheinens 1799 – 1805 – der geplanten Ausgabe letzter Hand (Prachtausgabe) aus dem Nachlass, a.a.O., S. 383-396.)


