Kernpunkt unseres Nationalitätenprinzips ist die Tendenz, die Staatsgrenzen mit den vorhandenen Volksgrenzen in Übereinstimmung zu bringen und dies als Folge der Grundabsicht, jedem geschichtsfähigen und seiner selbst bewussten Volk einen eigenen Staat zu sichern. Voraussetzung dieses Nationalitätenprinzips ist das Bewusstsein der Existenz der Volkstümer, ihre positive und grundsätzliche Bewertung, die Überzeugung, dass die Völker die eigentlichen geschichtlichen Größen, die den Einzelnen übergreifenden, geschichtlichen Einheiten sind, durch die sich der Gang der Weltgeschichte vollzieht, sodann der daraus entspringende Wille, alle diejenigen in einer Einheit der politischen Organisation zusammenzufassen, die von Natur und Geschichte aus, also in objektiv vorgegebener Weise dazu bestimmt sind.
Es hieße die Ideen-, Völker- und Staatengeschichte Europas in aller Breite darlegen, wollte man den Verlauf der Entwicklung in seinen einzelnen Phasen aufzeigen. Die Anfänge der Gestaltung des europäischen Staatenbildes fällt in jene Zeit, in der die Geistes- und Staatenbildung der Mittelmeervölker im römischen Imperium ihren Abschluss gefunden hatte und als eine in sich abgeschlossene Rechtsform den neuen machtpolitischen und weltanschaulichen Kräften, die im Germanentum und der christlichen Religion wirksam waren, entgegentrat! Dieses Aufeinanderprallen endete nicht in der Vernichtung einer der gegeneinander kämpfenden Geistesmächte, sondern mit ihrer Verschmelzung, die bei allen bestehen gebliebenen, inneren Wesensgegensätzen und Widersprüchen in der Staatsform des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation durch den Zusammenschluss des Römertums, Christentums und Germanentums ihren Ausdruck gefunden hat und weit über das Mittelalter auf das europäische Völkerschicksal eingewirkt hat.
Gesiegt hatte die Weltanschauung des römischen Männerbundes, die das Volkstum als Höchstwert nicht anerkennt und im Staate lediglich eine Verwaltungseinheit sieht, deren zweckmäßige Größe und Umfang allein für die Grenzziehung ausschlaggebend sei. Im Banne des römischen Universalismus vollzogen sich alle jene staatlichen Änderungen im europäischen Völkerkrieg, die den natürlichen Gegebenheiten der Völker nicht Rechnung trugen und in denen die heutige europäische Staatenstruktur noch immer erkennbar ist.
Mit dem ausklingenden Mittelalter werden weltanschauliche Gegenkräfte mobil, die sich erst zögernd und dann sich bis zur revolutionären Kraft steigernd gegen die römisch-kirchliche Gebundenheit und geistige Unterdrückung wenden. Dieses Rütteln an der römischen Kirchenautorität zeugt für die sich anbahnende Neuwendung des europäischen Geistes, die zugleich eine Verlagerung des Schwergewichtes vom konfessionellen Höchstwert nach der nationalen Seite hin auslöst. Das Volksbewusstsein wird wach und führt damit zu einer Neubewertung des bisherigen Lebens.
Die Völker beginnen aus ihrer Narkose, in die sie durch kirchlichen Weihrauch versunken waren, zu erwachen und treten allmählich wieder selbstgestaltend in Erscheinung. Das Suchen nach Selbstgestaltung hat im Laufe der Jahrhunderte zu unserem Weltbild geführt. Leibnitz’ Erkenntnis von dem Werden des Ganzen findet bei Herder Ausdruck in seinem lebenden, auf das Volksleben angewandten Gemeinschaftsbewusstsein. Herder definiert bereits die Nation als die Fortsetzung der Familie und des Stammes, als rassisch und biologisch begründet, als Werk der Natur und für den Menschen schicksalbedeutend. Das sind Erkenntnisse, die durch die Ideen der französischen Revolution, dass die Nation eine Gemeinschaft freier Bürger sei, die den Gesetzen, die sie sich gegeben haben, Gehorsam und Loyalität entgegenbringen, dass sie ein Produkt der Politik und der Vernunft sei und die vollkommenste Organisation des Menschen darstelle, nicht mehr widerlegt werden konnten.
Mit diesen Feststellungen müssen wir auch gleich den weitverbreiteten Ansichten entgegentreten, dass in der politischen Theorie der französischen Revolution der Ursprung des Nationalitätenprinzips zu suchen sei, wie es die französische Auffassung will.
Zwar ist ein ähnlicher Gedanke auch schon im vorrevolutionären Frankreich geäußert worden, aber er hat keine geschichtliche Wirksamkeit erlangt. Weder bei Rousseau noch bei Siéyès noch bei den Revolutionären erlangte er systematische Bedeutung. Die Revolution betrachtet sich nicht als ein Ereignis in einem geschichtlich gewordenen, mit dem französischen Volk in unzertrennlicher Verbindung stehenden, konkreten Staat; sie bemüht sich nicht, aus solcher Erkenntnis das Neue dem Alten, Gewordenen anzupassen und besondere Gegebenheiten, die Tradition zu achten. In ihren führenden Richtungen, insbesondere der Gironde, herrschte die Überzeugung, hier einen vollkommen neuen Staat nach den Grundprinzipien einer allgemein gültigen, überall zu verwirklichenden politischen Geometrie aufbauen zu können, den Beginn einer revolutionären Neuformung des politischen Daseins der gesamten Menschheit einzuleiten, die nur sozusagen zufällig in Frankreich beginnt, an Frankreichs Grenzen aber nicht halt macht, eben weil die Grundsätze, nach denen hier neu gebaut wird, dem Wesen der als überall gleichbleibend aufgefassten Natur des Menschen entspringend gedacht wurden.
Damit wird aber auch der große Gegensatz der französischen und deutschen Ideenwelt, der Gegensatz Rousseau – Herder, offenkundig.
Weder für den politischen Volksbegriff, wie er sich von Bodin über Hobbes, Rousseau und Siéyès bis zu den Wortführern der französischen Revolution gebildet hat, noch für den französischen Staatsaufbau spielt die blutgebundene völkische Gemeinschaft eine Rolle. Das Volk ist nach ihm das persönliche Substrat des Staates, der Kreis aller derjenigen, die sich zu dem in Frage stehenden Staat bekennen. Der Staat ist daher nicht die organisatorische Ausdrucksform einer völkischen Gemeinschaft, sondern der Tatbestand individueller Willensentscheidungen.
Unser Vaterlandsbegriff (I, II, III, IV, V) steht dazu im krassen Widerspruch. Doch die Auswirkungen der französischen Volks- und Staatsauffassung werden in ihrer Auslegung bis in die jüngste Gegenwart fühlbar, so zum Beispiel festzumachen am Begriff „Patriotismus“. Während der Begriff in napoleonischer Zeit auch noch in deutschen Landen gebräuchlich war, – immerhin galt der Kampf der Vordenker Jahn, Fichte, Arndt, Friesen und vieler anderer einem gesamtdeutschen Staat im Gegensatz zu Fürstenwillkür und französisch diktierter Kleinstaaterei –, wurde er vom treffenderen Begriff „Nationalismus“ abgelöst. Bekanntlich klingt im Nationalismus noch das „gebürtig von“ mit, er betont also die volkliche engverwandtschaftliche Wirklichkeit von Rasse und Abstammung, während der „Patriotismus“ den Staat in den Mittelpunkt seines Wollens stellt. Folgerichtig wurde und wird der unscharfe Begriff „Patriotismus“ vor allem im angelsächsisch-romanischen Raum gebraucht. Er ist also ein Begriff, der sich direkt aus der französischen Staatsauffassung ableitet und wird im scharfen Gegensatz zu unserem Volkstumsbegriff gebraucht.
Der Vordenker der Identitären Bewegung, Alain de Benoist, führt in einer Analyse der französischen Verhältnisse folgendes aus:
„Aber in Frankreich lässt sich das Vaterland nicht mit einer Nation identifizieren, die ihnen in der Geschichte allzu oft die Seele geraubt hat. Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts verkörpert der Regionalismus dies augenfällig. ‘Das Wort Region’, schreibt Eric Le Naour, ‘steht heute in der Avantgarde der Ideen, die Europa zu erneuern vermögen.’ (L’Avenir de la Bretagne, März 1971). Dies kommt daher, dass die Region konkret das darstellt, was die Nation nicht immer ist: den Rahmen, in dem Minderheitenkulturen sich selbst finden und behaupten können. Regionalismus und Volkstumskampf sind moderne Namen für die ewige Wiedergeburt der sinnlich erfahrenen Vaterländer aus Fleisch und Blut.“ (Alain de Benoist: „Kulturrevolution von rechts“; Jungeuropa Verlag, Dresden 2017, S. 113 f.)
Was Benoist hier sagt ist für Frankreich objektiv betrachtet sicher zutreffend, gilt aber für Deutschland nicht und lässt sich auf Deutschland auch nicht anwenden. Wenn wir heute vom Volkstumskampf in Europa sprechen, dann verstehen wir darunter schlechthin den Angriff des volksfremden Staates auf die völkische und wirtschaftliche Existenz einer Volksgruppe und seine Abwehr durch die Volksgruppe. Der Gegensatz Staat – Volksgruppe bildet den Begriffsinhalt des Wortes „Volkstumskampf“.
Die Entwicklung des europäischen Völker- und Staatengebildes folgte weder den Gesetzen des Raumes noch den geraden Bahnen der Logik, vielmehr waltete oft der Zufall der gerade zur Machtausübung gelangten Kräfte. Diese Mächte haben u.a. in den Grenzlinien die Europa durchfurchen, ihre Spuren hinterlassen. Sie wurden durch geschlossene Siedlungsräume der Völker gezogen, machten Angehörige eines Volkes zu Bürgern verschiedener Staaten oder schlossen verschiedene Völker in einem Staate unter Führung und Vorherrschaft eines Volkes zusammen. In dem Augenblick, in dem die Völker zum Bewusstsein ihres eigenen Wertes und ihrer Persönlichkeit kamen, mussten diese Grenzlinien, oftmals willkürlich gezogen, als Fessel empfunden werden, die abzustreifen ihr ganzes Bemühen galt.
Benoist hat wieder Frankreich im Blick, wenn er schreibt:
„So kommt es, dass heute ‘okzitanische Nationalisten’ in ihrem Wunsch, sich von den ‘Franciens’ zu unterscheiden, aufgrund ihrer ‘antinordischen’ Haltung am Ende nur noch (oder es fehlt jedenfalls wenig daran) ihre mediterrane Vergangenheit zu preisen.“ (Alain de Benoist: „Kulturrevolution von rechts“; Jungeuropa Verlag, Dresden 2017, S. 117.)
Im deutschen Volks- und Siedlungsraum gibt es einen derartigen Gegensatz nicht. Kein Süddeutscher würde ernsthaft die Verwandtschaft und die Zusammengehörigkeit mit einem Norddeutschen anzweifeln. Diejenigen die das versuchen oder versucht haben, mussten immer mit leicht durchschaubaren Kunstgriffen arbeiten, wie zum Beispiel des Herbeiredens eines Gegensatzes zwischen einem katholischen Süden und einem protestantischen Norden.
Andreas Vonderach schrieb in „Sezession 52 / Februar 2013“ zu den Deutschen als Abstammungsgemeinschaft: „Die Deutschen sind ein Volk. Unter einem Volk versteht man eine größere Gruppe von Menschen, die durch eine gemeinsame Geschichte und Abstammung, ein Bewusstsein ihrer Zusammengehörigkeit, eine gemeinsame Kultur und in der Regel auch durch eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Territorium miteinander verbunden sind. Das entscheidende Merkmal ist die Verwandtschaft.“
Was hier ganz klar und verständlich formuliert ist, drückt Alain de Benoist mit Blick auf die Franzosen so aus: „Der Begriff der Ethnie hat sowohl Teil an der Idee der Rasse als auch an der Idee der Kultur; er impliziert eine relative historische und kulturelle Homöostasie. Die Ethnie wird durch die Identität der ethologischen Regeln charakterisiert, die über identische Transformationsprozesse strukturell (qualitativ wie statistisch) identische Verhaltensweisen hervorbringt. Die Homogenität dieses Systems von Transformationsregeln stiftet die ethnische Kultur.“ (Alain de Benoist: „Kulturrevolution von rechts“; Jungeuropa Verlag, Dresden 2017, S. 88.)
Ganz offensichtlich lassen sich also Benoits „Erkenntnisse“, die aus der Betrachtung französischer Verhältnisse gewonnen wurden, nicht für Deutsche fruchtbar verwenden. Außerdem ist gerade der Regionalismus ein Konzept aus der Giftküche bestimmter Kreise. Der maßgebliche Erfinder des Regionalismus ist der anarchistische Jude Leopold Kohr gewesen, der bereits in seinem Werk „The Breakdown of Nations“ das Konzept der Regionen ausgearbeitet hatte. Während des Krieges war Kohr wie viele seiner Art im Auftrag der USA an einem Think-Tank beschäftigt. Von 1941 bis 1943 arbeitete Kohr für die „Carnegie Endowment for International Peace“ in Washington. Dort arbeitete er eng mit Egon Ranshofen-Wertheimer zusammen, der ihn mit den wichtigsten Chefredakteuren der USA bekannt machte. Wertheimer war zu dieser Zeit Berater im Weißen Haus. Am 26. September 1941 erschien Kohrs erster Artikel über die notwendige Zerschlagung der Großmächte; er trug den Titel „Disunion Now“. Wir müssen also im Konzept des Regionalismus eindeutig den Versuch der USA erkennen Europa zu schwächen!
Trotzdem versucht die Identitäre Bewegung, entweder aus einem totalen Missverstehen Benoist’ oder einer völligen Verkennung der Realität, das Konzept des Regionalismus und des Paneuropäismus politisch durchzusetzen bzw. mindestens zu thematisieren. Wir vermuten ein Missverstehen Benoist’ der zur deutschen Frage aus französischer Sicht ausführt:
„Die Tatsache, daß auf diese deutsche Nation heute zwei oder drei einzelne Staaten (die Bundesrepublik, die DDR und Österreich) kommen, kann deshalb einem Deutschen nicht so verblüffend vorkommen – so verheerend sie auch sein mag – wie einem Franzosen. Bevor eine deutsche Nation bestand, gab es bereits Deutsche. Ohne französische Nation gibt es dagegen keine Franzosen mehr.“ („Kommentare zum Zeitgeschehen“, Folge 185; Wien, August 1987)
Martin Semlitsch vulgo Lichtmesz verbreitet über die Grundhaltung der Identitären Bewegung folgendes:
„Wir sind auch keineswegs deutschnational, sondern vielmehr pan-europäisch orientiert und plädieren nachhaltig für eine Überwindung nationalistischen Dünkels und alter nationaler Lasten.“
Noch deutlicher wird er hier:
„Eines sei klargestellt: Wir Identitären sind nicht nationalistisch! Wir definieren unsere Identität nicht bloß anhand von Staatsgrenzen, Landesfarben und Nationalstaats-Angehörigkeit, sondern ethnisch und kulturell. Wir verwehren uns gegen den heute irreführenden Begriff der “Kulturnation”. Unsere Idee ist auch keine nationale, sondern eine europäische. Der Gedanke des Vaterlandes ist für uns von hoher Bedeutung, aber nicht der zentrale Begriff unserer Weltanschauung. Das soll nicht heißen, dass wir Nationen an sich ablehnen und auch nicht, dass wir Souveränität und Macht an ein zentrales europäisches Regierungsorgan abtreten wollen – im Gegenteil: wir wollen Entscheidungsgewalt so weit wie möglich in den Regionen belassen.
Nationalismus als veralteter Ballast bei der Rettung Europas
Ein Volk kann in Form der Staatsbildung einen gemeinsamen Willen ausdrücken. Die Grenzen zwischen den Völkern als organische Gemeinschaften waren aber schon immer fließender und trotzdem beständiger als die Grenzen der Nationalstaaten. Die Bedeutung von Region, Nation und Europa geht für uns vom Ersten bis zum Letzen. Keine dieser Größen kann ohne die anderen alleinige Priorität sein, denn sie stehen in einem kausalen Verhältnis zueinander. Wie die Regionen die Nationen ausmachen, machen die Nationen Europa aus.“
Wenn die Vordenker der Identitären Bewegung die Richtung gegen den Nationalstaat und für den Regionalismus vorgeben, dann melden sich auch andere Identitäre zu Wort, die ebenfalls den Nationalstaat abschaffen wollen. Diesmal zu Gunsten eines „Reiches Europa“, so zumindest der Identitäre namens „Christoph“:
„Der also angeblich alternativlosen ‘Nation’, die doch nur ein typisches Konzept der Moderne ist (universalistisch, individualistisch, egalitaristisch), sei daher ein föderales Reich Europa entgegengestellt, das von den Völkern bestimmt wird, und nicht umgekehrt.“
Der den Identitären nahestehende „Neurechte“ Benedikt Kaiser, schreibt in seinem Buch „Querfront“:
„Das Kapital ist transnational, die Eliten sind transnational – die Probleme, die Kapital und Eliten hervorrufen, sind es daher auch; der klassische Nationalstaat hat dem nur noch wenig entgegenzusetzen.“ (Benedikt Kaiser: „Querfront“; Verlag Antaios, Schnellroda 2017; S. 54)
Wir haben hier also verschiedene Ebenen der Kritik am Nationalstaat. Während die einen mit Blick auf Frankreich die Minderheitenrechte einfordern und eine Lösung im Regionalismus zu finden glauben, wollen andere den Nationalstaat abschaffen um ein „Reich Europa“ zu erschaffen, um sich diverser Auswirkungen des Globalismus erwehren zu können.
Uns hingegen erscheint der „herkömmliche“ Nationalstaat als bester Garant für das Überleben sowohl der staatsbegründenden Völker, als auch etwaig vorhandener Minderheiten. Minderheitenschutz und zwischenstaatliche Verträge über eine Zusammenarbeit dort wo sie notwendig erscheint, werden unserer Ansicht nach nicht durch den Nationalstaat gehemmt.
Nur der Nationalstaat ist Normalstaat!