Viel ist dieser Tage von einer Erneuerung des sogenannten „Patriotischen Lagers“ die Rede. Man möchte alte Zöpfe abschneiden und frei von historischer Verantwortung, befreit von „Faschismus-Vorwürfen“, „Rassismus-Vorwürfen“ und allen anderen Vorwürfen, die einem als Nicht-Antifaschisten so begegnen, „politikfähig“ sein. Sofort springt die Defensive ins Auge, denn zwangsläufig ist es in deutschen Landen unmöglich an Geschehnissen und den leitenden Vorstellungen des 20. Jahrhunderts vorbeizugehen. Was wir davon halten, haben wir bereits ausgeführt.
Wie stellt sich die „Neue Rechte“ nun aber diesem Problem? Auf der Suche nach einem Fundament ihrer Betätigung verfielen sie in das Studium der Werke diverser Obskuranten aus dem romanischen Kulturkreis und speziell aus dem französischen Sprachraum. Zu nennen sind an dieser Stelle Evola, Benoist und Jean-Francois Thiriart.
Allen gemein ist das Fehlen des biologischen Volksbegriffes; dass der Mensch eben nicht nur durch den Lebensraum geprägt wird und eben nicht als tabula rasa geboren wird. Der Mensch ist, das beweisen Wissenschaft und Lebenserfahrung, zuallererst die Summe seiner Gene und nur zu einem geringen Teil Produkt der Prägung seiner Umwelt.
Mittels Kunstgriff will sich die „Neue Rechte“ über dieses Erkenntnis hinwegsetzen, indem sie argumentiert der Mensch habe verschiedene Ebenen der Identität.
In einem Artikel des ehemaligen Führungsmitgliedes der Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ), Alexander Markovics, lesen wir:
„Wenn wir also von den drei Ebenen der Identität und ihrem Zusammenspiel sprechen, müssen wir sie uns wie eine Matrjoschkapuppe vorstellen: Nur zusammen und aufeinander aufbauend kann sie bestehen, so wie die nationale Ebene nicht ohne die regionale Ebene funktioniert, kann auch die zivilisatorische Ebene nicht ohne die nationale Ebene funktionieren. Die Aufgabe der höheren Ebenen besteht nicht zuletzt im Schutz jener Ebenen, auf denen sie aufbauen. Ein guter Europäer kann nur jemand sein, der sich auch seiner nationalen Identität bewusst ist und danach trachtet, diese zu bewahren, genauso wie man beispielsweise auch nur ein guter Österreicher sein kann, wenn man die Identität der Kärntner Slowenen beschützt (und umgekehrt).
Versucht man hingegen die regionalen und nationalen Ebenen zu zerstören, auf denen die zivilisatorische Identität aufbaut, so ist nicht das Ende der untergeordneten Ebenen die Konsequenz, sondern die Disintegration der übergeordneten Einheiten, die nur durch das Einverständnis der sie konstituierenden kollektiven Identitäten bestehen können. Nicht Zentralismus und Uniformisierung garantieren das Funktionieren und den Bestand einer Zivilisation oder eines Nationalstaates, sondern Subsidarität und Föderalismus. Europa wird nur sein, wenn es seine Einheit aus der ihm innewohnenden Vielfalt bezieht, oder es wird nicht sein.“
Was hier in klugen Worten daherkommt, ist in Wahrheit ein gedanklicher Rückschritt. Denn der Mensch hat immer nur eine Identität, es sei denn er wäre schizophren. Was die größten Denker unseres Volkes seit den Zeiten der Aufklärung versucht haben, die Überwindung der Spaltung zwischen Geist und Körper und die Rückkehr zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Welt und des Menschen, das wirft die „Neue Rechte“ achtlos weg und verfällt in fruchtloses philosophieren über die „Seinsfrage“.
Etwas primitiver erklärt der derzeite Leiter der IBÖ, Patrick Lenart, in der ihm eigenen Art von geistiger Strenge und philosophischer Weitsicht, was es mit dieser dubiosen Identität auf sich hat:
„Ich bin identitär – und das Wort ist in aller Munde. Aber in Gesprächen wird mir immer wieder klar, dass viele nicht genau wissen, was damit überhaupt gemeint ist.
Die erste Annäherung ist leicht: identitär kommt von Identität. Das ist keine Überraschung, aber wichtig: Die Identitären sind diejenigen, die davon überzeugt sind, dass die Frage nach der Identität die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts ist. Dabei hat der Begriff Identität viele Facetten: individuelle und kollektive Identität, Geschlechtsidentität, Arbeitsidentität und viele mehr.“
Es wird also von Seiten der „Neurechten“ vermieden an irgendeiner Stelle konkret zu werden, daher befasst man sich auch ausgiebig mit der sogenannten „Seinsfrage“.
Diese „Seinsfrage“ beschäftigt auch einen anderen Vordenker der „Neuen Rechten“. Der russische Politologe Alexander Geljewitsch Dugin, der aus den Medien als „Putin-Ideologe“ bekannt ist und als Ideengeber der „Neuen Rechten“ gilt, somit auch der Identitären, tummelte sich zu Sowjetzeiten in verschiedenen traditionalistischen Intellektuellenzirkeln in Russland und traf in der Zeit der Perestroika verschiedene Vordenker der „Neuen Rechten“ aus Westeuropa. In den 1990er Jahren war er der Mitbegründer und Cheftheoretiker der Nationalbolschewistischen Partei Russlands, von 1994 bis 1998 ihr Vizevorsitzender und auch nach seinem Abschwören vom Kommunismus blieb er sowjetnostalgischen Tendenzen verhaftet, die er mittlerweile jedoch ideologisch neu aufgeladen hat. Er ist einer der Köpfe hinter der „eurasischen Idee“, die sich als explizit antinationalistisch und antirassistisch geriert und letzten Endes als eine Art „Neosowjetismus“ zu verstehen ist, in dessen Kern man die kommunistische Klassenkampfdoktrin mit einem orthodox-religiösem Traditionalismus ausgetauscht hat. Der Traditionalismus Dugins geht dabei so weit, dass er sämtliche Fortschritte und Entwicklungen des faustischen Menschen seit Anbeginn der Aufklärung als „Häresie“ gegen das dogmatische Christentum verteufelt, in deren Anfangssequenzen zwangsläufig die Formeln für Gendermainstreaming, Transhumanismus und anderen ethischen Perversionen der Gegenwart festgeschrieben stünden. (siehe auch Alexander Dugin, „Das Programm H+“, COMPACT Ausgabe 11/2016, S.46)
In zwei zentralen Werken legte Dugin seine Weltanschauung dar und entwarf das Konzept einer multipolaren Weltordnung als Alternative zur Dominanz des Westens: „Die Vierte Politische Theorie“ (2013) und „Konflikte der Zukunft. Die Rückkehr der Geopolitik“ (2014). Dabei verwendet er die Begriffe „Vierte Politische Theorie“ und „Eurasische Idee“ weitgehend synonym. Das Kernstück seiner Lehre bildet die Kritik am Absolutheitsanspruch westlicher Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Diese dienten dem chauvinistischen Westen lediglich dazu, seine Macht auszuweiten.
Hierbei macht sich Dugin Argumentationsmuster des Postmodernismus und Feminismus(!) zu eigen. Jede Kultur habe ihre eigenen Wahrheiten und Deutungsmuster, die gleichberechtigt neben den Wahrheiten anderer Kulturen stünden. Es ist also alles irgendwie gleichwertig…
Ein Element, welches Dugin aus seiner Zeit als Bolschewist bis heute in seiner Doktrin am Leben erhalten hat, ist der gegen die weißen Nationen gerichtete Antirassismus. In der russischen Tageszeitung „Kommersant vlast“ vom 20.08.2002 wird er zitiert mit „Ich bin ein Unterstützer von Schwarzen. Weiße Zivilisation – ihre kulturellen Werte und ihr falsches, entmenschlichendes Modell der Welt, erschaffen von ihnen – daran sind keine Vorteile. Russland ist allein durch den Umstand geschützt, dass es nicht rein weiß ist.“
Der russische Nationenbegriff definiert sich nach Dugin räumlich-landschaftlich und religiös-spirituell. Hier tauchen also wieder diese dubiosen verschiedenen Ebenen der Identität auf. Ein Russentum auf biologisch-abstammungsmäßiger Grundlage widerspreche jeder russländischen Tradition. Er sieht im Biologischen keine absolute Größe. Das wird an seiner Haltung zum Auslandsrussentum deutlich: Alle russischen Emigranten außerhalb Eurasiens (z. B. in Nordamerika oder Brasilien) können keine authentischen Russen mehr sein, ihnen fehlt die Bodenverwurzelung und das Leben im sakralen Raum Eurasien. Zum authentischen Russen gehört zudem die Einheit mit der orthodoxen Kirche (Sobornost) – andererseits macht die orthodoxe Taufe noch keinen echten Russen aus.
„Weiße Solidarität“, ist für Dugin ferner ein „Mythos“ und eine „komplette Utopie“, die „nicht nur zum Holocaust führte“, sondern auch zum „slawischen Genozid“, wird Dugin in einem weiteren Interview zitiert.
Der Bolschewismus stalinscher Prägung hat es Dugin besonders angetan. Wie Stalin versteht er Russland als Vielvölkerreich und bekämpft jeden echten blutsgebundenen Nationalismus vehement. Er präferiert einen „Staatsnationalismus“, oder Patriotismus, den auch die französischen Vordenker der „Neuen Rechten“ propagieren. So Alain de Benoist, der sich ebenso wie Dugin als „Antirassist“ bezeichnet und die „rassistische Ideologie“ als ein „Produkt der Moderne“ bezeichnet, „die sich im 19. Jahrhundert im Kielwasser der sozialen Entwicklungen und der Fortschrittsideologie herausbildete“.
Dugin sagte gegenüber dem SPIEGEL:
„Wir Russen sind keine Nationalisten, wie waren niemals eine Nation. Wenn wir von ‚Unseren‘ sprechen, ist dies nicht ethnisch gemeint. Die Tschetschenen und Usbeken sind ebenso mit eingeschlossen.“
Das ist dann wohl die regionale Identität von der beispielsweise die Identitäre Bewegung so schwärmt.
Zurück zu Dugins Theorie, die will also jegliche Aspekte einer sogenannten „Moderne“ seit Beginn der französischen Revolution an bekämpfen, will also zurück zu einer ultrareaktionären Feudalgesellschaft, die von festgeschriebenen orthodoxen Dogmen geprägt ist.
Diese völlig irrige und wissenschaftsfeindliche duginsche Ideologie steht der sich stets im Wandel begriffenen, fortschrittlichen Weltanschauung der Nationalisten konträr gegenüber. Der Gipfelpunkt Dugins wissenschaftsfeindlicher Auffassungen ist das endgültige Abgleiten in Esoterik und Mystizismus.
Immer wiederkehrende Schlüsselbegriffe in Dugins Werk sind die Gegenpole Eurasien und Atlantismus. Eurasien meint hierbei keine Synthese aus Europa und Asien, sondern etwas Drittes, eine neue Qualität. Gemeint ist ein metaphysischer Raum der Ursprünglichkeit. Eurasien wird mit dem Element Erde identifiziert (Stabilität, Dichte, Seßhaftigkeit, Hierarchie, Ideokratie und Werte), die Atlantiker mit dem Element Wasser (Beweglichkeit, Weichheit, Nomadentum, Individualismus, Relativismus und Demokratie). Wie Eurasien und Atlantismus haben auch die Himmelsrichtungen eine sakrale metaphorische Bedeutung. Die Himmelsrichtungen stehen für sich absolut und nicht nach geographischem Standpunkt relativ. Demnach steht der Norden für die Urheimat des Menschen, nämlich Hyperboreia, Atlantis oder Thule. Es gibt im Norden keine Gegensätze, Räume oder Zeiten, alles ist vollkommen. Der Süden steht für Dunkelheit, Materialität und Vergänglichkeit. Der Osten ist Hort ewiger Weisheit (Geburtsort der Sonne) und der Westen Heimat von Dekadenz, Oberflächlichkeit, Seelenlosigkeit, Täuschung (die Sonne geht im Westen unter). Norden und Osten sind eurasische Attribute, Süden und Westen atlantische.
Dieser Unsinn wird laut Martin Semlitsch vulgo „Martin Lichtmesz“ als vor allem in der identitären Szene besonders geschätzt bezeichnet. Dugins Buch „Die Vierte Politische Theorie“ soll laut ihm sogar zur Pflichtlektüre der Identitären Bewegung erhoben worden sein.
Im Gegensatz zu Ideologien und verquasten Philosophien, welche die Möglichkeit der Erkenntnis der Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten bestreiten, die nicht an die Zuverlässigkeit unseres Wissens glauben, welche die objektive Wahrheit nicht anerkennen und der Ansicht sind, dass die Welt voll sein von „Dingen an sich“ die niemals von der Wissenschaft erkannt werden können und über eine sogenannte „Seinsfrage“ ganze Bücher füllen, gehen wir davon aus, dass die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten durchaus erkennbar sind, dass unser Wissen von den Naturgesetzen, durch Erfahrung und Praxis geprüft, zuverlässiges Wissen ist, dass es in der Welt keine unerkennbaren Dinge gibt, wohl aber Dinge, die noch nicht erkannt sind, und auch diese werden durch die Kraft der Wissenschaft aufgedeckt und erkannt werden.
Die treffliche Widerlegung dieser philosophischen Schrullen ist das Experiment und die praktische Verwendung des erworbenen Wissens in Industrie und anderen Anwendungsbereichen. Wenn wir die Richtigkeit unserer Auffassung eines Naturvorganges beweisen können, indem wir ihn nachstellen, ihn aus seinen Bedingungen erzeugen und ihn obendrein unseren Zwecken und Bedürfnissen nutzbar machen, so ist es mit „dem Ding an sich“ zu Ende!
Beispielsweise blieben die in der Natur vorkommenden chemischen Stoffe solche „Dinge an sich“, bis die Wissenschaft von der Chemie sie Einen nach dem Anderen nachzubilden verstand. Damit wurde aus dem „Ding an sich“ ein Ding für uns! So zum Beispiel künstliche Farben, die nicht mehr aus Pflanzen, Schnecken oder sonst wo gewonnen werden, sondern aus Erdöl generiert werden können. Bodendünger aus Stickstoff, der die Hungersnöte Europas beseitigen konnte. Nichts ist dem Erfindergeist des europäischen Menschen verwehrt. Sämtliche Probleme sind lösbar.
Das kopernikanische Sonnensystem war dreihundert Jahre lang eine Hypothese, die den Hass der Christen auf sich zog und gegen die man sein oder nicht sein konnte, aber sie war eine wissenschaftlich fundierte Hypothese. Als Leverrier aus den durch dieses System gegebenen Daten nicht nur die Notwendigkeit der Existenz eines damals unbekannten Planeten, sondern auch den Ort berechnete, wo dieser Planet am Himmel zu finden sein wird, und als Galle dann diesen Planeten tatsächlich fand, da war das kopernikanische System bewiesen und die christliche Mystik endgültig besiegt.
Eine praktische Politik hat sich daher nicht auf die frommen Wünsche religiöser Menschen, nicht auf Forderungen der „Vernunft“ und der „Moral“ zu gründen, sondern auf die kühle wissenschaftliche Erkenntnis, auf Naturgesetze und die kosmische Ordnung von Allem.